Die neue EU-Verordnung über In-vitro-Diagnostika – IVDR
Mit dem Ziel, die Patientensicherheit zu verbessern, hat die Europäische Kommission die bestehenden Medizinprodukte- und In-vitro-Diagnostika-Richtlinien überarbeitet. Die neue Verordnung über In-vitro-Diagnostika (EU) 2017/746 (In-vitro Diagnostic Medical Devices Regulation, IVDR) ist gemeinsam mit der Verordnung über Medizinprodukte am 25. Mai 2017 in Kraft getreten. Sie ersetzt die bisherige EU-Richtlinie 98/79/EG. Nach einer fünfjährigen Übergangsfrist ist die IVDR seit dem 26. Mai 2022 verpflichtend anzuwenden. Die Verordnung muss nicht in nationales Recht umgesetzt werden, sondern ist unmittelbar in den Mitgliedstaaten gültig. Dies führt innerhalb der Europäischen Union zu einer Harmonisierung der Standards für In-vitro-Diagnostika.
Sowohl neue Produkte als auch bereits auf dem Markt befindliche und zugelassene Bestandsprodukte müssen der neuen Verordnung entsprechend zertifiziert werden. Dies kann lediglich von einer Benannten Stelle durchgeführt werden, die sich bereits im Zuge eines Neubenennungsverfahrens unter der IVDR neu benannt hat. Der Prozess ist derzeit noch nicht abgeschlossen (Stand Juli 2024).
Die wichtigsten Änderungen auf einen Blick
Die IVDR umfasst einen weiteren Geltungsbereich als die bisherige Richtlinie und bringt in vielen Bereichen höhere und auch neue Anforderungen für die Unternehmen und Überwachungseinrichtungen mit sich:
- Es gibt ein neues Klassifizierungssystem – von einem listenbasierten System wird auf ein System mit den vier Risikoklassen A, B, C und D umgestellt. A umfasst Produkte mit geringem Risiko und D Produkte mit dem höchsten Risiko. Produkte ab der Klasse B oder höher erfordern zukünftig die Einbeziehung einer Benannten Stelle – dadurch erhöht sich die Anzahl an Produkten, die von einer Benannten Stelle überwacht werden müssen, deutlich.1)2)
- Die Anzahl möglicher Konformitätsbewertungsverfahren wurde auf drei Optionen verringert: Abhängig von der Produktklasse basiert die Konformitätsbewertung entweder ausschließlich auf der Technischen Dokumentation, einem zusätzlichen vollständigen Qualitätssicherungssystem oder einer Baumusterprüfung.3)
- Die Anforderungen an das Qualitätsmanagementsystem, die Technische Dokumentation und an die Überwachung nach dem Inverkehrbringen (Post-Market Surveillance) sind gestiegen.1)3)
- Die Konformitätsbewertung von Produkten der Klasse D erfordert die Einbindung von europäischen Referenzlaboren, um die Leistung des Produkts und die Einhaltung relevanter Vorgaben zu verifizieren.4)
- Mit der zeitlich nach den Risikoklassen gestaffelten Einführung einer neuen Produktidentifizierungsnummer (Unique Device Identification, UDI) ergeben sich darüber hinaus neue Kennzeichnungspflichten. Hierbei wird das Ziel einer besseren Nachverfolgbarkeit der Produkte verfolgt.1)5)
- Hersteller sind künftig verpflichtet, Daten über ihr Unternehmen, ihre Produkte sowie Informationen zu den UDIs in der EUDAMED-Datenbank zu hinterlegen, die als elektronisches Vigilanz- und Marktüberwachungssystem fungiert. Diese befindet sich weiterhin in der Umsetzungsphase. Bisher wurden die Module "Registierung von Wirtschaftsakteuren", "Einmalige Produktkennung (UDI) und Produktregistrierung" sowie "Benannte Stellen und Bescheinigungen" freigeschaltet (Stand April 2023).6)
- Jeder Hersteller muss intern mindestens eine „Verantwortliche Person“ benennen, deren Aufgaben über die des oder der Sicherheitsbeauftragten hinausgehen. Ebenso steigen die Anforderungen bezüglich der Qualifikation und Erfahrung der „Verantwortlichen Person“.7) Laut „MDCG 2019-7 Guidance on Article 15 of the Medical Device Regulation (MDR) and in vitro Diagnostic Device Regulation (IVDR) regarding a 'person responsible for regulatory compliance' (PRRC)“ kann diese Funktion in Kleinst- und Kleinunternehmen unter bestimmten Voraussetzungen auch extern besetzt werden.3)8)
- Große Veränderungen ergeben sich auch für die Zusammenarbeit zwischen Original Equipment Manufacturer (OEM) und Private Label Manufacturer (PLM). Nach derzeitigem Stand müsste der PLM vollen Zugriff auf die Technische Dokumentation des OEM erhalten, was Konfliktpotenzial im Bereich des geistigen Eigentums birgt.2)
Um Probleme und Fragen bei der Implementierung der MDR sowie der neuen Verordnung über In-vitro-Diagnostika (EU) 2017/746 (In-vitro Diagnostic Medical Devices Regulation, IVDR) zu identifizieren, wurde der Nationale Arbeitskreis zur Implementierung der neuen EU-Verordnungen über Medizinprodukte und In-vitro-Diagnostika (NAKI) vom Bundesgesundheitsministerium gegründet. Die Ergebnisse werden auf der Website veröffentlicht.
Fristen
Aufgrund mangelnder Kapazitäten bei den Benannten Stellen hat die Europäische Kommission am 25. Januar 2022 eine Anpassungsverordnung (EU) 2022/112 veröffentlicht, durch die die Übergangsfristen für bestimmte In-vitro-Diagnostika angepasst wurden. Ziel dabei ist es, eine kontinuierliche Marktversorgung in der Europäischen Union sicherzustellen. Die verlängerten Übergangsfristen greifen allerdings nur, wenn bestimmte Bedingungen erfüllt sind. Zusätzlich zu den verlängerten Übergangsfristen für bestimmte Produkte wurde im Rahmen einer zusätzlichen Änderungsverordnung ((EU) 2023/607) im Jahr 2023 auch das Entfallen der Abverkaufsfristen beschlossen. Demnach ist die Bereitstellung auf dem Markt oder die Inbetriebnahme bestimmter Produkte auch nach Ablauf des Übergangszeitraums zulässig.
Im Juni 2024 folgte nun eine weitere Anpassungsverordnung (EU) 2024/1860, durch welche die Übergangsfristen für In-vitro Diagnostika erneut verlängert wurden, um mögliche Engpässe bei In-vitro Diagnostika zu vermeiden und einen reibungslosen Übergang zu den neuen Vorschriften zu gewährleisten.
Durch (EU) 2024/1860 ergibt sich folgende Änderung:
- "Bescheinigungen, die von Benannten Stellen gemäß der Richtlinie 98/79/EG nach dem 25. Mai 2017 ausgestellt wurden, am 26. Mai 2022 noch gültig waren und danach nicht zurückgezogen wurden, bleiben nach Ablauf des auf der Bescheinigung angegebenen Zeitraums bis zum 31. Dezember 2027 gültig. Bescheinigungen, die von Benannten Stellen gemäß der genannten Richtlinie nach dem 25. Mai 2017 ausgestellt wurden, am 26. Mai 2022 noch gültig waren und vor dem 9. Juli 2024 abgelaufen sind, gelten nur dann als bis zum 31. Dezember 2027 gültig, wenn eine der folgenden Bedingungen erfüllt ist:
- Vor Ablauf der Bescheinigung haben der Hersteller und eine Benannte Stelle eine schriftliche Vereinbarung gemäß Anhang VII Abschnitt 4.3 Unterabsatz 2 über die Konformitätsbewertung des Produktes, für das die abgelaufene Bescheinigung gilt, oder eines Produkts, das dazu bestimmt ist, dieses Produkt zu ersetzen, unterzeichnet;
- eine zuständige Behörde eines Mitgliedstaats hat eine Ausnahme von dem anwendbaren Konformitätsbewertungsverfahren gemäß Artikel 54 Absatz 1 gewährt oder den Hersteller gemäß Artikel 92 Absatz 1 aufgefordert, das anzuwendende Konformitätsbewertungsverfahren durchzuführen."
- "Produkte, für die das Konformitätsbewertungsverfahren gemäß der Richtlinie 98/79/EG nicht die Mitwirkung einer Benannten Stelle erforderte, für die vor dem 26. Mai 2022 eine Konformitätserklärung gemäß der genannten Richtlinie ausgestellt wurde und für die das Konformitätsbewertungsverfahren gemäß der vorliegenden Verordnung die Mitwirkung einer Benannten Stelle erfordert, dürfen bis zu folgendem Zeitpunkt in Verkehr gebracht oder in Betrieb genommen werden:
- 31. Dezember 2027, für Produkte der Klasse D;
- 31. Dezember 2028, für Produkte der Klasse C;
- 31. Dezember 2029, für Produkte der Klasse B und für Produkte der Klasse A steril"
Bedingungen, an die die neuen Übergangsfristen geknüpft sind (Art. 2 Abs. 3 (EU) 2024/1860):
- "Diese Produkte entsprechen weiterhin der Richtlinie 98/76/EG;
- es liegen keine wesentlichen Veränderungen der Auslegung und der Zweckbestimmung vor;
- die Produkte stellen kein annehmbares Risiko für die Gesundheit oder Sicherheit der Patienten, Anwender oder anderer Personen oder für andere Aspekte des Schutzes der öffentlichen Gesundheit dar.
- Der Hersteller hat spätestens bis 26. Mai 2025 ein Qualitätsmanagementsystem gemäß Artikel 10 Absatz 8 eingerichtet;
- der Hersteller oder Bevollmächtigte hat bei einer Benannten stelle einen förmlichen Antrag gemäß Anhang VII Abschnitt 4.3 Unterabsatz 1 auf Konformitätsbewertung für ein in Absatz 3a [Klasse D] oder 3b [Klasse C] genanntes Produkt oder für ein Produkt, das dazu bestimmt ist, diese Produkt zu ersetzen, und zwar spätestens am:
- 26. Mai 2025 für Produkte [der Klasse D]
- 26. Mai 2026 für Produkte [der Klasse C]
- 26. Mai 2027 für Produkte [der Klasse B und Klasse A steril]
- die Benannte Stelle und der Hersteller haben eine schriftliche Vereinbarung gemäß Anhang VII Abschnitt 4.3 Unterabsatz 2 unterzeichnet, und zwar spätestens am:
- 26. September 2025 für Produkte [der Klasse D]
- 26. September 2026 für Produkte [der Klasse C]
- 26. September 2027 für Produkte [der Klasse B und Klasse A steril]."
Nachfolgende Grafik veranschaulicht die momentan geltenden Übergangsfristen nach der Anpassungsverordnungen (EU) 2024/1860:
Benannte Stelle
Nicht nur die Produkte selbst, auch die Zertifizierungsstellen, die die Produkte der neuen Verordnung zertifizieren, müssen sich erneut als Benannte Stelle bewerben und nach einer Prüfung neu benannt werden. Derzeit gibt es in der EU 21 Benannte Stellen mit der Befugnis, nach den bisherigen EU-Richtlinien zertifizieren zu dürfen.9) Bisher haben 22 einen Antrag auf Neubenennung im Rahmen der IVDR gestellt9), dreizehn Benannte Stellen wurden IVDR-konform neu benannt, davon vier in Deutschland (Stand Oktober 2024).10) Der aktuelle Stand kann in der NANDO-Datenbank abgefragt werden.
Der Anteil überwachter Produkte und Hersteller, der unter der bisherigen IVD-Richtlinie 10 bis 15 Prozent betrugt, steigt mit Inkrafttreten der IVDR voraussichtlich auf 85 bis 90 Prozent.2) Zusätzlich zu der geringeren Anzahl Benannter Stellen, der höheren Anforderungen sowie der benötigten Neuzertifizierung der Produkte nach IVDR wird ein Engpass bei Benannten Stellen befürchtet.
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