Durch die Beschleunigung der Medikamenten-Zulassung kommen immer mehr Wirkstoffe auf einer dürren Studiendatenbasis in den Markt. Weitere Daten können, so ein Mantra der letzten Jahre, anschließend während der Anwendung gewonnen werden – als sogenannte real world data (RWD).
Darunter versteht die amerikanische Food and Drug Administration (FDA) klinische Evidenz über den Nutzen und Schaden medizinischer Interventionen, etwa aus Beobachtungsstudien, aber auch aus randomisierten kontrollierten Studien (RCTs). Die europäische Zulassungsbehörde EMA definiert RWD dagegen anders, nämlich als Routinedaten zum Gesundheitsstatus oder zur Versorgung von Patientinnen und Patienten, die aus verschiedenen Quellen stammen – aber nicht aus traditionellen klinischen Studien. RCTs scheinen demnach ausgeschlossen. Explizit nicht vorgesehen sind RCTs im Data Analysis and Real World Interrogation Network (DARWIN EU), dem wichtigsten Tool der EMA zur Bereitstellung von RWD.
Die Autorinnen und Autoren des BMJ-Artikels vertreten den Standpunkt, dass solche Beobachtungsdaten für andere Zwecke nützlich sein können, für die Untersuchung von Arzneimitteleffekten in Nutzenbewertungen in der Regel aber ungeeignet sind. So könne man nie sicher sein, ob ein beobachteter Unterschied im Gesundheitszustand zweier Patientengruppen ursächlich auf die Behandlung zurückgeht oder doch eher auf unbekannte Unterschiede in den Patientencharakteristika. Auch bekannte Störgrößen könnten oftmals nicht ausgeräumt werden, weil viele RWD-Quellen die dafür nötigen Informationen nicht enthielten.
Warum also nicht RWD nutzen, dabei aber auf den Goldstandard zurückgreifen? RCTs stehen in dem Ruf, langwierig, kostspielig und aufwendig, ja für viele Fragestellungen praktisch undurchführbar zu sein. Das hat sich zur selbst erfüllenden Prophezeiung ausgewachsen, gerade bei Fragestellungen mit kleinen Studienpopulationen: Wer ständig hört, dass RCTs nur Ärger machen, wird eher Non-RCTs aufsetzen – und dadurch die Chance weiter verringern, dass eine RCT zu einer vergleichbaren Fragestellung genug Teilnehmende rekrutieren kann.
Ein Werkzeugkasten für effiziente RCTs
Die Autorinnen und Autoren stellen daher 15 Ansätze vor, um auch bei kleinen Populationen RCTs leichter, schneller und günstiger durchzuführen. So lassen sich Teilnehmende umso leichter rekrutieren, je mehr standardisierte Patientenregister es gibt und je besser die europäische Studien-Infrastruktur ausgebaut und standardisiert wird. Um rasch genügend Patientinnen und Patienten zu gewinnen, sind multinationale Studien von Vorteil. Und in Plattform-Studien können mehrere neue Wirkstoffe etwa mit derselben Kontrollgruppe verglichen werden. Durch die Einbeziehung von Betroffenen bereits in das Studiendesign lässt sich sicherstellen, dass patientenrelevante Evidenz generiert wird. Um den Erkenntnisgewinn zu maximieren, sollten individuelle Patientendaten stets der EMA zur Verfügung gestellt und klinische Studienberichte zügig veröffentlich werden.
Und schließlich lässt sich Mehraufwand vermeiden, indem man klinische Studien gleich so gestaltet, dass ihre Daten sowohl in die Zulassung als auch in Nutzenbewertungen oder Kosten-Nutzen-Bewertungen einfließen können. „Ganz auf die rasche Zulassung fixierte Studien sind ineffizient, wenn die Wirkstoffe anschließend an einer vierten Hürde scheitern oder man für das Health Technology Assessment komplett neue Studien starten muss“, resümiert Beate Wieseler, Leiterin des IQWiG-Ressorts Arzneimittelbewertung und Erstautorin des Artikels. „Wer den Zugang der Patientinnen und Patienten zu einer evidenzbasierten Versorgung wirklich beschleunigen will, sollte gleich solide ‚Mehrzweckstudien‘ durchführen.“
Eine Voraussetzung dafür wäre eine Öffnung der RWD-Definition der EMA: „Der kategorische Ausschluss von RCTs ist aus der Zeit gefallen. Europa sollte sich an der FDA orientieren. Hoffen wir, dass DARWIN noch entsprechend mutiert.“