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ERA

Environmental Risk Assessment

Worum geht es?

Der Zulassungsprozess von Humanarzneimitteln bedingt die Durchführung einer Umweltrisikobewertung (Environmental Risk Assessment). Die analysierten Daten aus der Umweltrisikobewertung müssen seit dem Inkrafttreten am 1. Dezember 2006 der zuständigen Behörde zusammen mit dem Antrag auf Zulassung vorgelegt werden. Hierfür bietet die European Medicines Agency (EMA) eine technische Leitlinie an, die vom Committee for Medicinal Products for Human Use (CHMP) verabschiedet wurde. Die EU-Leitlinie ist zwar rechtlich nicht bindend, weist allerdings auf regulatorische Bedingungen hin, bei deren Abweichung der Antragsteller eine ausführliche Begründung vorlegen muss. Unter anderem wird festgelegt, welche Arzneimittel einer Bewertung unterzogen werden müssen und welche davon ausgeschlossen sind.

Wie wird es umgesetzt?

Jedes neu zugelassene Medikament muss sich seit Inkrafttreten der Guideline einer Risiko- und Gefahrenbewertung unterziehen. Die Bewertung erfolgt in einem schrittweisen, zweiphasigen Verfahren:

  • Phase I: Hier wird geschätzt, wie stark die Umwelt dem Arzneistoff ausgesetzt ist. Wenn diese Exposition einen bestimmten Grenzwert nicht überschreitet, kann die Bewertung bereits hier beendet werden.
  • Phase II: In dieser Phase werden Informationen über das Verhalten und die Auswirkungen des Stoffes in der Umwelt gesammelt und bewertet. Phase II ist in zwei Teile gegliedert: Stufe A und B.

Unabhängig von der Menge, die in die Umwelt gelangt, müssen bestimmte Substanzen, wie z.B. stark fettlösliche Verbindungen und mögliche Hormonstörer, speziell betrachtet werden.

Im Folgenden sind die beiden Phasen der Bewertung noch einmal detaillierter beschrieben:

Phase I

In Phase I der Umweltrisikobewertung von Humanarzneimitteln geht es darum, wie stark die Umwelt dem Arzneistoff ausgesetzt sein könnte. Dabei wird nur der Wirkstoff selbst betrachtet, unabhängig von der Darreichungsform oder Verstoffwechslung im Körper.

  • Prüfung auf Persistenz, Bioakkumulation und Toxizität

Arzneistoffe mit einem logKow-Wert (logarithmischer n-Octanol/Wasser-Verteilungskoeffizient) über 4,5 sollten gemäß des zugehörigen EU TGDs (Technical Guidance Document) auf ihre Persistenz, Bioakkumulation und Toxizität hinsichtlich Umwelt und Lebewesen geprüft werden.

  • Berechnung des PEC-Wertes (Predicted Environmental Concentration)

In Phase I beschränkt sich die PEC-Berechnung auf das aquatische Umfeld (Oberflächenwasser) und berücksichtigt folgende Punkte:

  • Der Antragsteller kann einen Standardwert (Marktdurchdringungsfaktor: Fpen) des Anteils der gesamten Marktdurchdringung im Bereich bestehender Medikamente verwenden oder diesen, basierend auf veröffentlichte epidemiologische Daten, verfeinern;
  • Die jährliche Nutzungsmenge wird gleichmäßig über das Jahr und das geografische Gebiet verteilt vorhergesagt;
  • Das Abwassersystem ist der Hauptweg, durch den der Wirkstoff ins Oberflächenwasser gelangt;
  • Im Klärwerk findet keine biologische Abbaubarkeit oder Rückhaltung des Wirkstoffs statt;
  • Der Metabolismus in der Patientin/in dem Patienten wird nicht berücksichtigt.
  • Grenzwert und Maßnahmen

Folgende Maßnahmen gelten für den berechneten Grenzwert:

  • PEC-Wert < 0,01 µg/L: es wird angenommen, dass das Arzneimittel kein Risiko für die Umwelt darstellt;

  • PEC-Wert > 0,01 µg/L: es sollte eine Phase-II-Analyse durchgeführt werden.

In einigen Fällen ist der Grenzwert möglicherweise nicht anwendbar, z.B. können Arzneistoffe die Fortpflanzung von Wirbeltieren oder niedrigeren Tieren bereits bei Konzentrationen unter 0,01 µg/L beeinflussen. Diese Stoffe sollten in Phase II geprüft und zusätzlich einer maßgeschneiderten Risikobewertungsstrategie unterzogen werden, die ihren spezifischen Wirkmechanismus berücksichtigt.

Phase II

Ziel der Phase II ist die Beurteilung der Umweltauswirkungen eines Arzneimittels. Diese basiert auf dem Verhältnis der vorhergesagten Umweltkonzentration (PEC) zu der Konzentration, bei der keine Effekte erwartet werden (PNEC).

Stufe A:

In Stufe A werden die nachfolgend aufgelisteten Tests verlangt, die ausschließlich den Wirkstoff betreffen. Unter Verwendung von Bewertungsfaktoren aus relevanten Studien wird der PNEC-Wert berechnet. Dieser dient dazu, im Verhältnis zu den ermittelten Test-Daten, eine Konzentration, ohne erwartbare schädliche Auswirkungen zu bestimmen.

  1. Tests zu physikalisch-chemischen Eigenschaften: Ermittlung von Informationen zum Verbleib der Substanz in der Umwelt, zur biologischen Abbaubarkeit und Bioakkumulation sowie dem Absorptionsverhalten im Klärschlamm.
  • Biologische Abbaubarkeit: Verhältnis PEC (Oberflächenwasser) zu PNEC (Mikroorganismen) > 0,1 → weitere Bewertungen zu den Auswirkungen des Wirkstoffs und/oder seiner Metabolite auf Mikroorganismen sind in Stufe B erforderlich;
  • Bioakkumulation: n-Octanol/Wasser-Verteilungskoeffizient zeigt auf eine mögliche Bioakkumulation (Kow > 1000) hin → Berücksichtigung des Bioakkumulationsfaktors in Stufe B;
  • Hohe Anreicherungsneigung/Adsorption im Klärschlamm → zusätzliche Untersuchungen sind notwendig.

Nicht leicht abbaubare Substanzen, die sich im Sediment anreichern, müssen ebenfalls weiter untersucht werden.

  1. Aquatische Effektstudien: Durchführung von Langzeittoxizitätstests an Fischen, Daphnien und Algen.
  • Verhältnis PEC (Oberflächenwasser) zu PNEC (Wasser) < 1 → die aquatische Umwelt gilt als nicht gefährdet, keine weiteren Untersuchungen;
  • Verhältnis PEC (Oberflächenwasser) zu PNEC (Wasser) > 1 → weitere Untersuchungen in Stufe B sind erforderlich.
  1. Grundwasserbewertung: Mittels Uferfiltration wird die Exposition des Stoffs in das Grundwasser bewertet, Verhältnis PEC (Grundwasser) zu PNEC (Grundwasser) → siehe aquatische Effektstudien.

Stufe B:

In Stufe B findet eine erweiterte Analyse zur Umweltverträglichkeit des Wirkstoffs statt, wenn für diesen in Stufe A ein potenzielles Risiko für die Umwelt identifiziert wurde. Die erweiterte Risikobewertung stützt sich auf spezifische PEC- und PNEC-Werte des Wirkstoffs und dessen Stoffwechselprodukte und wird für Arzneistoffe mit einem LogKow > 4,5 durchgeführt.

  • Umweltverbleibanalyse: Spezifizierung des PEC-Werts (Oberflächenwasser) mithilfe eines SimpleTreat-Modells zur Bewertung von Substanzen unter Einbeziehung der Adsorption aus dem Klärschlamm (Basis: Koc = geschätzter Adsorptionskoeffizient) und der Abbaubarkeit in der Kläranlage.
  • Erweiterte Effektanalyse:
  1. Auswirkung auf Sedimentlebewesen → bei einem signifikanten Übergang der Arzneimittelsubstanz in das Sediment, sollten die Auswirkungen auf Organismen untersucht und mit dem PEC-Wert (Sediment) vergliechen werden.
  2. Spezifische Effekte auf Mikroorganismen → im Falle eines ermittelten Risikos für Mikroorganismen in Stufe A, ist eine weitere Bewertung der Auswirkungen der Arzneimittelsubstanz bzw. ihrer Metabolite auf Mikroorganismen notwendig:
  • Genauere Risikobewertung der Expositionskonzentration im Belüftungstank eines SimpleTreat-Modells;
  • Bestimmung des PNEC (Mikroorganismen) nach EU TGD;
  • Weitere Analysen antimikrobieller Effekte bei einem Verhältnis PEC (Belüftungstank) zu PNEC (Mikroorganismen) > 1.
  1. Verbleib in der terrestrischen Umgebung → weitere Berechnungen zur Konzentration des Arzneimittels, wenn dieses als schwer biologisch abbaubar deklariert wurde (Koc > 10000 L/kg):
  • Risikobewertung und Modellierung der PEC-Werte für Klärschlammbildung und Boden nach EU TGD
  • Untersuchungen der biologischen Abbaubarkeit des Wirkstoffs im Boden, der Toxizität für Bodeninvertebraten sowie von akuten Effekten für terrestrische Pflanzen und Mikroorganismen.

Am Ende von Stufe B stehen somit sowohl qualitative und quantitative Informationen zu Stoffwechselwegen/-produkten, als auch zusätzliche Daten zur Langzeit-Toxizität, Hemmung von Mikroorganismen und Biodegradierbarkeit der Substanz zur Verfügung.

Für Arzneimittel, bei denen Umweltrisiken nicht ausgeschlossen werden können, müssen Vorsichts- und Sicherheitsmaßnahmen in Form

  • einer klaren Kennzeichnung der potenziellen Risiken,
  • einer ordnungsgemäßen Entsorgung ungenutzter Arzneimittel und
  • einer Empfehlung an die Patientinnen und Patienten, die Arzneimittel nicht über Abwasser oder Hausmüll zu entsorgen,

getroffen werden, um die Umwelt zu schützen.

Der Umweltrisikobericht sollte in Modul 1.6 des Zulassungsdossiers (CTD = Common Technical Document) inklusive Signatur und Curriculum Vitae des Experten/der Expertin vorgelegt werden.

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