Nachhaltigkeit
Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz im Gesundheitswesen: Herausforderungen und Chancen
Immer mehr Gesetze auf europäischer und nationaler Ebene machen Nachhaltigkeit zur rechtlichen Pflicht. Das deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz weitet dies seit Januar 2023 auch auf globale Lieferketten aus. Große Unternehmen müssen sicherstellen, dass ihre Geschäftspartner Menschenrechte und Umweltschutz beachten, und bei Verstößen drohen empfindliche Strafen. Doch selbst bei besten Absichten ist die Umsetzung nicht immer einfach, auch weil im Gesundheitssektor einheitliche Standards und Best Practices für die Einhaltung der Sorgfaltspflichten fehlen.
Bei der BIOPRO-Veranstaltung „Regulatorik Nachgefragt“ zum Thema Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (kurz: Lieferkettengesetz, LkSG) erläuterten Dr. Thomas Voland, Regulierungsexperte bei Clifford Chance, Clara Mailin Allonge, Leiterin des Referats Nachhaltigkeit des BVMed – Bundesverband Medizintechnologie e.V. und Christoph Treiber von der osapiens Services GmbH die Bedeutung des Lieferkettengesetzes für Unternehmen, dessen Auswirkungen in der Praxis und wie der BVMed „Muster-Kodex Nachhaltigkeit“ bei der Umsetzung helfen kann.
Überblick: Was das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz beinhaltet
Im Jahr 2015 haben die Vereinten Nationen ihre 17 Nachhaltigkeitsziele (Sustainable Development Goals, SDGs) verabschiedet, denen sich auch die EU und die Bundesregierung verpflichtet haben. Nachhaltigkeit endet jedoch nicht vor der eigenen Haustür. Sie ist eine globale Anstrengung. Genau diesem Grundsatz soll das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz gerecht werden.
Das Regelwerk zielt darauf ab, dass Unternehmen über die eigenen Betriebsgrenzen hinaus Verantwortung für Menschenrechte und Umweltschutz übernehmen. Das LkSG gilt seit dem 1. Januar 2023 für Unternehmen mit mehr als 3.000 Beschäftigten in Deutschland und ab dem 1. Januar 2024 nun für Unternehmen mit mehr als 1.000 Beschäftigten. Darunter fallen auch große Krankenhäuser und ausländische Betriebe mit einer entsprechenden Zahl an Mitarbeitenden im Inland.
Insbesondere müssen Unternehmen in Bezug auf die Lieferkette:
- eine Grundsatzerklärung über die Sorgfaltspflichten verabschieden,
- die betriebsinterne Zuständigkeit für den Menschenrechtsschutz genau definieren,
- ein Risikomanagementsystem einrichten, um Menschenrechts- und Umweltrisiken zu identifizieren, zu vermeiden, zu minimieren oder die Verletzung der Sorgfaltspflichten bestenfalls zu beenden,
- regelmäßige Risikoanalysen in Bezug auf Menschenrechte und Umwelt in ihrer Lieferkette durchführen,
- Präventionsmaßnahmen entwickeln und umsetzen, um Risiken im eigenen Geschäftsbereich und bei unmittelbaren Zulieferern zu verhindern,
- Abhilfemaßnahmen ergreifen, um Menschenrechtsverletzungen oder Umweltschäden zu beheben.
- Beschwerdeverfahren einrichten und umsetzen,
- auch bei mittelbaren Zulieferern die Sorgfaltspflichten umsetzen und
- eine Dokumentations- und Berichtspflicht für alle Maßnahmen erfüllen.
Behördliche Kontrolle und Durchsetzung
Im Gegensatz zu manchen anderen Regelungen zur Nachhaltigkeit handelt es sich beim Lieferkettengesetz nicht nur um zahnlose Richtlinien: „Das ist kein Papiertiger, sondern ein Gesetz mit Durchsetzungskraft“, betont Jurist Voland. Die zuständige Behörde kann unter anderem Berichte prüfen, Maßnahmen anordnen sowie Zwangs- und Bußgelder verhängen. Die Strafen sind empfindlich: Bis zu 8 Mio. Euro oder bis zu zwei Prozent des weltweiten Jahresumsatzes sind möglich. Neben den behördlichen Kontrollen können sich außerdem auch Dritte über Verstöße gegen das Lieferkettengesetz beschweren. Erste Beschwerden von NGOs gegen mehrere namhafte Unternehmen liegen bereits vor.
Was das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz für KMUs bedeutet
Die hohen Strafen und möglichen Kosten bei der Umsetzung des Lieferkettengesetzes dürften mit ein Grund dafür sein, dass manche Großunternehmen versuchen, ihre Pflichten aus dem LkSG vertraglich auf ihre Zulieferer abzuwälzen. Während sich finanzstarke Wirtschaftsriesen so Aufwand und Kosten sparen, könnte es gerade die Kleinen hart treffen. In seiner Beratungstätigkeit spricht Voland derzeit immer wieder mit kleinen und mittleren Unternehmen, KMUs, die eigentlich gar nicht unter das Lieferkettengesetz fallen, dessen Auswirkungen dennoch zu spüren bekommen. „KMUs sind wenigstens indirekt betroffen, weil sie Teil der Lieferkette sind“, sagt er. Dass größere Unternehmen versuchten, die Pflichten aus dem LkSG eins zu eins vertraglich auf ihre Zulieferer abzuwälzen, werde jedoch von der zuständigen Behörde, dem Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) sehr kritisch gesehen. Das BAFA verlange immer auch das individuelle Risikoprofil des Zulieferers zu berücksichtigen. „Lieferanten müssen nicht alles akzeptieren. Prüfen Sie diese Verträge sehr genau.“
Wie der BVMed Muster-Kodex helfen kann
Wie Verträge zwischen Unternehmen und ihren Lieferanten nach dem Lieferkettengesetz ausgestaltet sein müssen, um Verantwortung zu teilen, ohne zu viele Pflichten auf die Lieferkette abzuwälzen, darüber herrsche derzeit große Unsicherheit, betonen die Expertinnen und Experten. Abhilfe für Medizintechnikunternehmen könnte unter anderem der „Muster-Kodex Nachhaltigkeit“ des BVMed schaffen. Dieser bietet Medtech-Unternehmen die Möglichkeit das Nachhaltigkeitsverständnis (sozial, ökologisch, ökonomisch) gegenüber Geschäftspartnern wie Kliniken im Sinne des deutschen Lieferkettengesetzes zu verdeutlichen.
Laut Clara Mailin Allonge, BVMed-Nachhaltigkeitsexpertin, soll der Kodex „einen Branchenstandard setzen, der das geltende Recht abbildet und einheitlich auslegt“ und der sich auch an aktuelle Entwicklungen auf EU-Ebene anpassen lässt. Der BVMed wirbt dafür, dass der Muster-Kodex möglichst branchenweit zum Einsatz kommt, damit er zur Einheitlichkeit und Rechtssicherheit der Regelungen beitragen kann. Die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) hat den Muster-Kodex Nachhaltigkeit bereits als geeignete Alternative zu klinikeigenen Lieferantenkodizes für die Umsetzung von Vorgaben des Lieferkettengesetzes anerkannt. „Das ist ein wichtiger Schritt für die Medizintechnikbranche“, sagt Allonge.
Die weiteren Entwicklungen auf EU-Ebene
Doch nicht nur auf Bundesebene, auch auf EU-Ebene tut sich etwas in Hinsicht auf Regelungen zur Nachhaltigkeit. Um die Ziele des Green Deals zu erreichen, ist eine Transformation der Wirtschaft notwendig.
Große Bedeutung hat dabei die EU-Taxonomieverordnung, die Unternehmen in Europa bereits seit dem 1. Januar 2022 anwenden müssen. Diese greift unter anderem bei Investitionen und beinhaltet Berichtspflichten in Bezug auf Nachhaltigkeit. Unternehmen, die berichtspflichtig sind, müssen „grüne“ Kennzahlen wie Umsatzerlöse, Investitionsausgaben und Betriebsaufwand ermitteln und erläutern.
Darüber hinaus sind bestimmte Unternehmen in der EU auch zur Nachhaltigkeitsberichterstattung verpflichtet. Im Jahr 2022 wurden diese Pflichten mit der neuen Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) auf alle großen und börsennotierten Unternehmen stark ausgeweitet. Die Regelungen müssen bis zum 6. Juli 2024 in nationales Recht umgesetzt werden und gelten dann ab dem Geschäftsjahr 2024. Vorgesehen ist die Berichterstattung über Nachhaltigkeitsaspekte, die entweder in finanzieller oder ökologischer und sozialer Hinsicht wesentlich sind. Darunter fallen beispielsweise auch Geschäftsmodelle oder Unternehmensstrukturen.
Und während sich deutsche Unternehmen noch mit dem Lieferkettengesetz anfreunden, plant die EU bereits eine neue Regelung, die noch über das LkSG hinausgehen soll. Der Vorschlag einer Corporate Sustainability Due Diligence Directive (CSDDD), den die EU-Kommission am 23. Februar 2022 angenommen hat, verfolgt weitestgehend dieselben Ziele wie das Lieferkettengesetz, hebt jedoch die möglichen Strafen auf bis zu fünf Prozent des globalen Umsatzes an. Außerdem sollen auch direkte Klagen von Betroffenen vor europäischen Gerichten möglich sein. Gelten würde die CSDDD für große EU-Unternehmen und Unternehmen aus Drittländern mit bedeutender Geschäftstätigkeit in Europa. Am 15. März 2024 haben die EU-Mitgliedstaaten nach langem Ringen für die CSDDD gestimmt. Nun muss das Europäische Parlament noch über die Regelung abstimmen, bevor diese voraussichtlich im Mai oder Juni in Kraft treten kann.
Lieferkettengesetz als Chance für deutsche Unternehmen
Angesichts der internationalen Nachhaltigkeitsbestrebungen können deutsche Unternehmen der Gesundheitswirtschaft das Lieferkettengesetz als Chance begreifen. Es ermöglicht ihnen, sich frühzeitig auf strengere Regelungen in der EU und möglicherweise auch in anderen Ländern, in denen sie tätig sind, vorzubereiten und sich so einen Vorsprung zu verschaffen. „Nachhaltigkeit kann ein Alleinstellungsmerkmal für Unternehmen sein“, meint Voland. Deshalb empfiehlt auch Clara Mailin Allonge allen deutschen Gesundheitsunternehmen: „Informieren Sie sich über die aktuellen Entwicklungen, nutzen Sie die vorhandenen Beratungsangebote und nutzen Sie die Zeit zur Vorbereitung.“
Infobox:
Dieser Beitrag fasst die Inhalte, Themen und Diskussionspunkte der Veranstaltung „Regulatorik Nachgefragt meets #Rethink Medizintechnik – Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz und BVMed-Nachhaltigkeits-Kodex“ vom 1. Dezember 2023, organisiert von BIOPRO und BVMed, zusammen.
Weitere Informationen zur BIOPRO-Reihe „Regulatorik Nachgefragt“ und „#Rethink Medizintechnik“ der Allianz für nachhaltige Medizintechnik finden Sie in der Sidebar.
Einen Steckbrief für das LkSG finden Sie in unserem Regulatorik-Lotsen.