PFAS-Regulation
Das PFAS-Dilemma: Unverzichtbar für die Medizintechnik, aber eine Gefahr für Mensch und Umwelt
PFAS sind eine Gruppe von Chemikalien, die aufgrund ihrer einzigartigen Eigenschaften für viele Anwendungen in der Medizin unentbehrlich sind. Das Problem: Sie sind auch extrem langlebig, schädigen die Umwelt und stehen im Verdacht, schwere Krankheiten auszulösen. Aus diesem Grund diskutiert die EU eine strengere Regulierung. Die MedTech-Branche reagiert mit Sorge.
PFAS, kurz für per- und polyfluorierte Alkylsubstanzen, sind extrem langlebig und widerstandsfähig gegenüber Hitze, Wasser und Fett. Diese Eigenschaften machen sie in vielen Alltagsprodukten wie Antihaftpfannen, Feuerlöschschaum und in der Halbleiterindustrie sowie der E-Mobilität unverzichtbar. Auch in der Medizintechnik spielen PFAS eine zentrale Rolle. Doch gerade ihre hohe Beständigkeit wird zunehmend zum Problem: PFAS sind in der Natur nicht abbaubar, reichern sich über Jahre in der Umwelt und im menschlichen Körper an und stehen im Verdacht, erhebliche Gesundheitsschäden zu verursachen. Deshalb diskutiert die EU derzeit ein mögliches Verbot dieser Chemikalien.
Die Medizintechnikbranche sieht darin ein Dilemma: Die einzigartigen Eigenschaften von PFAS lassen sich nur schwer ersetzen, und passende Alternativen zu finden, gestaltet sich oft kompliziert. Dr. Frauke Averbeck, Referentin bei der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA), Dr. Michael Schlipf, Geschäftsführer der FPS GmbH, Vorstandsmitglied und Vorsitzender der Fachgruppe Fluoropolymergroup des pro-K Industrieverbands langlebige Kunststoffprodukte und Mehrwegsysteme e.V. und Dr. Jürgen Stebani Mitgründer und CEO der Polymaterials AG erläuterten die Herausforderungen im Umgang mit PFAS in medizinischen Anwendungen.
Warum PFAS als problematisch gelten
Seit den 1940er-Jahren kommen PFAS in zahlreichen Produkten zum Einsatz. Doch erst nach und nach wurde deutlich, wie gefährlich diese rund 10.000 Substanzen umfassende Stoffgruppe ist. „PFAS sind persistent in der Umwelt. Das bedeutet, wenn sie einmal freigesetzt werden, verbleiben sie dort für Jahrzehnte bis Jahrhunderte“, erklärt Averbeck. „Sie verteilen sich teilweise sehr schnell über das Wassersystem oder reichern sich in der Nahrungskette an und besitzen gefährliche toxikologische Eigenschaften.“
Sobald PFAS in die Umwelt gelangen, lassen sie sich nur unter extrem hohen Kosten entfernen – in einigen Fällen sogar gar nicht. Insgesamt können sie nur in speziellen Hochtemperaturverbrennungsanlagen sicher entsorgt werden. Wegen dieser enormen Beständigkeit werden sie auch als „Ewigkeitschemikalien“ bezeichnet. Im Regenwasser ist die PFAS-Konzentration laut einer aktuellen Studie oft bereits so hoch, dass die offiziellen Unbedenklichkeitsgrenzwerte der USA überschritten werden.1) Nach Schätzungen der Europäischen Chemikalienagentur (ECHA) könnten in den nächsten 30 Jahren rund 4,4 Mio. t zusätzliche PFAS in die Umwelt gelangen, sofern keine drastischen Maßnahmen ergriffen werden.2)
Welche Schäden PFAS verursachen können
Die Behörden sind besonders besorgt darüber, dass PFAS nicht nur langfristig die Umwelt belasten, sondern auch potenziell irreversible Gesundheitsschäden verursachen können. PFAS binden im Körper an Proteine in Organen wie Leber, Nieren sowie Blut, was ihren Abbau deutlich verlangsamt.3) Schätzungen zufolge benötigt der menschliche Organismus zwischen 4,4 und 8,7 Jahren, um die Hälfte der aufgenommenen PFAS wieder abzubauen.4)„Wenn sich die Konzentrationen immer weiter erhöhen, weil sie nicht abgebaut werden, dann können sich die toxikologischen Eigenschaften irgendwann negativ auf den Menschen auswirken“, erklärt Averbeck.
Besonders kritisch: PFAS können während der Schwangerschaft und Stillzeit von der Mutter auf das Kind übertragen werden. Eine 2020 in Deutschland durchgeführte Studie wies PFAS im Blut aller untersuchten Kinder im Alter von 3 - 17 Jahren nach.5) Zudem belegen Studien, dass erhöhte PFAS-Konzentrationen im Blut die Immunabwehr schwächen, die Wirksamkeit von Impfungen reduzieren und das Infektionsrisiko erhöhen können. Darüber hinaus werden PFAS mit verschiedenen Krankheiten in Verbindung gebracht, darunter Krebs, Leberschäden und hohe Cholesterinwerte. „Sie stehen auch im Verdacht, hormonell wirksam zu sein“, so Averbeck. Bei Kindern können sie Entwicklungsstörungen, Verhaltensauffälligkeiten und ein verringertes Geburtsgewicht verursachen.
Das Dilemma von PFAS und Medizinprodukten
Trotz der Gefahren, die PFAS langfristig darstellen, bleiben sie für viele lebenswichtige Medizinprodukte unverzichtbar. „Bei den Medizinprodukten geht es uns vor allem um eine Untergruppe der PFAS, die Fluoropolymere“, erklärt Schlipf. „Fluoropolymere sind anti-adhäsiv. Deshalb haften keine Blutkörperchen oder andere Stoffe an einem Stent, und so wird das Risiko einer Thrombose vermieden. Zudem sind Fluoropolymere sehr beständig, was bedeutet, dass solche medizinischen Einsätze ein Leben lang halten und nicht nur 14 Tage.“
Chirurgische Implantate, Katheter oder Beschichtungen medizinischer Geräte basieren häufig auf den besonderen Eigenschaften von PFAS, die für hohe Sterilität und Haltbarkeit sorgen. Diese Materialien müssen biokompatibel und chemisch stabil sein, um im menschlichen Körper zu funktionieren, ohne Abstoßungsreaktionen oder raschen Verschleiß zu verursachen. „Fluoropolymere wurden in den 1940er Jahren entwickelt. Auf Basis ihrer einzigartigen Eigenschaften entstanden zahlreiche Technologien und Anwendungen“, erklärt Stebani von der Polymaterials AG, die aktiv an der Entwicklung von Ersatzmaterialien arbeitet. „Da diese Anwendungen stark auf Fluoropolymere zugeschnitten sind, ist es äußerst schwierig, einen Ersatz zu finden.“ Auch andere Unternehmen und Forschungseinrichtungen suchen intensiv nach geeigneten Alternativen. Doch, so Stebani, werde es wahrscheinlich keine einzelne Substanz geben, die alle Eigenschaften der Fluoropolymere auf einmal ersetzen kann. Stattdessen wird man vermutlich verschiedene Materialien nutzen müssen, um ähnliche Ergebnisse zu erzielen.
Bisherige Regulierungen von PFAS in der EU
Verschiedene PFAS sind bereits heute in der EU reguliert. Perfluoroctansulfonsäure (PFOS) und ihre Derivate wurden 2009 im Rahmen der Stockholm-Konvention6) verboten und sind seit 2010 durch die EU-Verordnung über persistente organische Schadstoffe (POPs) beschränkt. Perfluoroctansäure (PFOA) und verwandte Verbindungen wurden 2020 ebenfalls unter der POPs-Verordnung verboten.7) Neu hinzu kam 2023 die Regulierung von Perfluorhexansulfonsäure (PFHxS) und ihren Salzen. Auch langkettige perfluorierte Carbonsäuren (C9-21 PFCAs) stehen zur Aufnahme in die Stockholm-Konvention an.
Unter der EU-Verordnung REACH (Registration, Evaluation, Authorisation and Restriction of Chemicals) sind Perfluorcarbonsäuren (C9-14 PFCAs) seit Februar 2023 in der EU beschränkt.8) Undecafluorhexansäure (PFHxA) soll ab April 2026 reguliert werden. Zudem hat die ECHA im Jahr 2022 einen Vorschlag zur Einschränkung der Verwendung von PFAS in Feuerlöschschäumen eingereicht, der 2023 Unterstützung erhielt. Verschiedene PFAS stehen auch auf der REACH-Kandidatenliste für besonders besorgniserregende Stoffe (SVHC), darunter PFOA, PFHxS und einige Ersatzstoffe wie GenX.9) Eine Übersicht bietet die Europäische Chemieagentur.10)
Bestrebungen aus Deutschland und der EU, PFAS zu verbieten
Obwohl bereits einige PFAS in der EU verboten oder eingeschränkt sind, wird angesichts der hohen Risiken derzeit ein vollständiges Verbot von Herstellung und Einfuhr diskutiert. 2023 reichten Deutschland, Dänemark, Norwegen, Schweden und die Niederlande bei der Europäischen Chemikalienagentur einen Vorschlag zur weitreichenden Beschränkung aller PFAS ein. „Wir haben diesen Gruppenansatz gewählt, um alle PFAS auf einmal zu adressieren, weil in der Vergangenheit nach der Beschränkung einzelner Untergruppen in der Regel auf andere PFAS ausgewichen wurde“, erklärt Averbeck.
Gerade die Pauschalisierung der geplanten Regulierung stößt jedoch in der Chemie- und MedTech-Branche auf Kritik. „Wir fordern eine Ausnahme für Fluoropolymere“, sagt Schlipf. „Diese unterscheiden sich in ihrer Mobilität und Verteilung in der Umwelt erheblich von den niedermolekularen Produkten. Sie tragen deshalb auch nur minimal zu den Emissionen bei – geschätzt nur etwa sechs Prozent.“ Er befürchtet zudem, dass Europa durch die Einschränkungen im globalen Wettbewerb zurückfallen könnte und plädiert dafür, Fluoropolymere nicht pauschal zu verbieten, sondern den Fokus darauf zu legen, absichtliche Freisetzungen zu verhindern und bestehende Verfahren zu verbessern: „Es gibt bereits heute technische Methoden, die Emissionen bei Herstellung und Entsorgung vermeiden. Viel sinnvoller wäre es daher, diese Verfahren so rasch wie möglich einzusetzen. So ließe sich die Belastung durch Fluoropolymere wahrscheinlich weitgehend beheben, und ihre Beschränkung wäre nicht nötig.“
Auch Stebani sieht die aktuellen Vorschläge skeptisch. Er kritisiert unter anderem die vorgesehenen Übergangsfristen von bis zu 13,5 Jahren als unrealistisch: „Allein die Suche nach einem alternativen Material für eine Anwendung und das Upscaling können bis zu fünf Jahre dauern. Dann kommen noch die umfangreichen Tests und Zulassungsverfahren hinzu, insbesondere bei Medizinprodukten. Da sind 13,5 Jahre schon fast zu wenig.“ Auch der Branchenverband MedTech Europe warnt, dass eine verschärfte Regulierung zu Engpässen bei bestimmten Medizinprodukten führen könnte.11)
Averbeck und ihre Kolleginnen und Kollegen aus Europa sehen jedoch das Thema Fluoropolymere angesichts der aktuellen Lage etwas anders: „Warum sind diese vom Vorschlag umfasst, wenn sie keine toxische Wirkung haben? Der Grund sind ihre Herstellung und das End-of-Life, also die Abfallphase der Produkte, bei denen die Emissionen auch bei Fluoropolymeren teilweise beträchtlich sind“, erläutert sie. „Es handelt sich außerdem nicht um ein Komplettverbot. Wenn Alternativen erst noch gefunden werden müssen, gibt es dafür eine Ausnahme und lange Übergangsfristen.“ Einigkeit herrscht jedoch darüber, dass das Problem dringend angegangen werden muss – die zentrale Frage bleibt allerdings, wie genau das geschehen soll.