Der Anlass für eine Pharmastrategie zur Verbesserung der Rahmenbedingungen für den Pharmabereich in Deutschland, ist unter anderem dem Problem geschuldet, dass Deutschland als Forschungs- und Entwicklungsstandort im internationalen Vergleich zunehmend an Attraktivität verloren hat. Da die pharmazeutische Industrie für den Wirtschaftsstandort Deutschland allerdings von großer Bedeutung ist und einen Schlüsselsektor der Volkswirtschaft darstellt, sind mit der Pharmastrategie unter anderem nachfolgende Eckpunkte zur Verbesserung der Situation geplant.
Klinische Prüfungen vereinfachen
In Anlehnung an die EU-Verordnung Nr. 536/2014 (Clinical Trials Regulation) zur EU-weiten Harmonisierung der Durchführung von klinischen Studien, sollen Maßnahmen umgesetzt werden, um das Genehmigungsverfahren in Deutschland zu beschleunigen. Hier sollen im Fall von mononationalen klinischen Prüfungen sowohl eine Verkürzung der gesamten Bearbeitungszeit auf 26 Tage als auch eine Entscheidung über den Antrag innerhalb von fünf Tagen Abhilfe schaffen. Neben einer Beschleunigung der Durchführung klinischer Studien, ist auch eine Vereinfachung und Optimierung diverser Prozesse geplant. Zum einen wird eine Bundesethikkommission eingeführt, um eine weitere Harmonisierung unter den Länderethikkommissionen zu erreichen. Des Weiteren soll das Bundesinstitut für Strahlenschutz im Fall von strahlenschutzrechtlichen Anzeige- und Genehmigungsverfahren in das Genehmigungsverfahren für klinische Studien integriert werden. Außerdem ist geplant, Mängel des Informationssystems für klinische Prüfungen von Humanarzneimitteln (CTIS) auszubessern, Mustervertragsklauseln für klinische Prüfungen bekannt zu machen, die Durchführung dezentraler klinischer Prüfungen zu ermöglichen und die Kennzeichnung von Prüf- und Hilfspräparaten zu vereinfachen.
Zulassungsbehörden stärken
Prozessabläufe und die Zusammenarbeit der Bundesoberbehörden (speziell BfArM und PEI) sollen harmonisiert und gestärkt werden. So wird das BfArM zukünftig zur zentralen Koordinierungsstelle mit einer integrierten Steuerungsgruppe für das Verfahrensmanagement bezüglich Zulassungsverfahren und Antragsbearbeitung für Arzneimittel. Das PEI übernimmt allerdings weiterhin diese Aufgaben im Fall von Impfstoffen und Blutprodukten und wirkt unter der Leitung des Bundesgesundheitsministeriums zusammen mit Vertreter/-innen des BfArM in der Steuerungsgruppe mit. Außerdem soll die internationale Zusammenarbeit der Überwachungsbehörden verbessert und die Erteilung von Herstellungserlaubnissen insbesondere bei Arzneimitteln für neuartige Therapien harmonisiert werden.
Digitalisierung vorantreiben
Zur Implementierung der Digitalisierung im Gesundheitswesen zählt auch die Möglichkeit auf Verfügung von Gesundheitsdaten für die pharmazeutische Industrie unter Datenschutzaufsicht. Dafür soll das Forschungsdatenzentrum beim BfArM weiterentwickelt und der Datenzugang für die pharmazeutische Forschung offengelegt werden. Das Erheben und Sichern genomischer sowie klinischer Daten im Bereich Onkologie und seltener Erkrankungen wird im Rahmen des Modellvorhabens Genomsequenzierung neu aufgestellt und die Nutzung für die pharmazeutische Industrie ermöglicht. Außerdem werden länderübergreifende Forschungsvorhaben über eine federführende Landesdatenschutzaufsicht koordiniert.
Anreize zur Ansiedlung
Zwischen der EU und gewissen Drittstaaten wie z.B. China und Indien besteht eine starke Abhängigkeit aufgrund der geringen Kosten in Bezug auf die ausgelagerte Herstellung von Arzneimitteln. Nun sollen mehr Anreize geschaffen werden, um die Produktion wieder zurück nach Deutschland bzw. in die EU zu bringen. Mit einem Fokus auf Antibiotika wird daher der notwendige Finanzbedarf von Förderinstrumenten für den Aufbau neuer Ende-zu-Ende Produktionsstätten geprüft. Des Weiteren werden die Maßnahmen zur Preisregulierung (z.B. Rabattvertragsregelungen), die im Rahmen des Lieferkettenengpassbekämpungs- und Versorgungsverbesserungsgesetzes (ALBVVG) für Antibiotika getroffen wurden, auf weitere Arzneimittel (insbesondere Onkologika) ausgeweitet. Außerdem soll das EU-Vergaberecht für kritische Arzneimittel geändert, die öffentliche Beschaffung mittels Vergabetransformationspaket vereinfacht und die EU-Kommission bei der Erarbeitung eines EU Critical Medicines Act, zur Umsetzung von wirtschaftspolitischen Maßnahmen für kritische Arzneimittel, unterstützt werden.
Sicherstellung der EU-Wettbewerbsfähigkeit
Im Zuge des im April 2023 veröffentlichten EU-Pharmapakets zur Überarbeitung des europäischen Arzneimittelrechts, soll sich auch Deutschland für die Vereinfachung und Beschleunigung von Zulassungsverfahren einsetzen. Ziel ist es, den Zugang zu Arzneimitteln für Patient/-innen zu verbessern, die Attraktivität für Forschung und Entwicklung von neuen Arzneimitteln in der EU zu verbessern und das System des geistigen Eigentums zu schützen. Daher lehnt Deutschland den Vorschlag der EU-Kommission in Bezug auf eine Verkürzung des Unterlagenschutzes ab. Zusätzlich werden TRIPS-Waiver und ein verpflichtender Technologietransfer als eine Abschwächung des Systems angesehen.
Förderung von Innovation und Forschung
Besonders Start-ups und kleine und mittlere Unternehmen (KMU) müssen in der Wachstumsphase verstärkt mithilfe von Fremdkapital unterstützt werden. Dafür sollen mehr Anreize und eine steuerliche Forschungsförderung geschaffen werden, um die Translation aus der Grundlagenforschung bis hin zur Entwicklung und Anwendung neuer Arzneimittel zu verbessern. Eine spezifische Förderung der Forschung und Entwicklung von Arzneimitteln (z.B. Antibiotika und Orphan Drugs), denen ein Marktversagen droht, liegt hierbei im Fokus. Das Wachstumschancengesetz stellt dabei eine weitere umfangreiche Maßnahme zur steuerlichen Forschungsförderung dar. Des Weiteren soll ein Gutachten zur Verbesserung der Wachstumsfinanzierung durchgeführt, Maßnahmen zur Überwindung der Translationslücke gestärkt, Vollzugsfragen des Gentechnikgesetzes in Bezug auf Arzneimittel harmonisiert und das Wagniskapitalangebot für junge Unternehmen mittels verschiedener flexibler Finanzierungs-, Förder- und Beratungsprogramme verbessert werden.
GKV-Finanzstabilität
Ziel ist es, verlässliche Rahmenbedingungen bei der Preisbildung neuer Arzneimittel zu bewahren, um in Deutschland den schnellen Zugang zu diesen weiterhin zu gewährleisten. Dazu sollen mögliche Auswirkungen auf den Prozess der Erstattungsbeitragsverhandlungen von neuen Arzneimitteln (AMNOG), die im Rahmen der Reform durch das GKV-Finanzstabilisierungsgesetz entstanden sind, evaluiert werden. Des Weiteren wird zukünftig ermöglicht, den öffentlich gelisteten Erstattungsbetrag durch einen vertraulichen zu ersetzen. Zudem wird ein stabiler Herstellerabschlag von 7 Prozent für erstattungsfähige Arzneimittel ohne Festbetrag versprochen. Die GKV-Finanzierung soll somit ohne weitere Erhöhungen der Abschläge sichergestellt werden.
Entbürokratisierung
Zur Steigerung der Attraktivität des Standortes Deutschland in Bezug auf Regularien und Bürokratie wird die Digitalisierung von Antragsprozessen und Genehmigungsverfahren verstärkt angegangen. Es wird ein Bürokratieentlastungsgesetz IV angekündigt, das auch die Anforderungen der Pharmabranche berücksichtigt. Darüber hinaus soll ein gemeinsames Gesprächsformat zwischen Vertretern der Industrie und Politik (BMG und BMWK) die Grundlage für Dialog und Vernetzung von Akteur/-innen bieten.