Nachhaltigkeit in Medizinprodukten und die Herausforderungen beim Materialwechsel
7. Besonderheiten beim Einsatz nachhaltiger Materialien
Grundsätzlich sollten bei Materialänderungen im Zusammenhang mit der Steigerung der Nachhaltigkeit immer folgende Punkte angestrebt werden:
- Mehrfachnutzungen (Aufbereitbarkeit);
- zielgerichteteres Abfallmanagement (Sortierbarkeit);
- kreislauffähige Materialien (trennbare und recyelbare Komponenten).
7.1 Zusammenfassung dieses Kapitels
Bei der Umsetzung der gestiegenen Anforderung nach Nachhaltigkeit spielt bei Materialänderungen der Einsatz nachhaltiger Materialien eine große Rolle. In diesem Kapitel wird im Speziellen der Einsatz von recycelten oder biobasierten Kunststoffen in Medizinprodukten diskutiert. Es wird geklärt, welche besonderen regulatorischen Anforderungen gelten, ob es besondere Risiken gibt und welche Maßnahmen zu berücksichtigen sind.
7.2 Verwendung von recycelten Kunststoffen
Typische recycelbare Kunststoffe sind PET (Polyethylenterephthalat), PS (Polystyrol), PE (Polyethylen), PP (Polypropylen), PVC (Polyvinylchlorid). Im Allgemeinen beinhaltet der Prozess des Recyclings grob folgende Schritte:
- Sortierung nach Kunststoffart
- Zerkleinerung
- Reinigung
- ggf. Einschmelzen
- ggf. chemische Zerlegung
Es gibt zwei Recyclingverfahren mit denen Abfälle zu Erzeugnissen, Stoffen oder Materialien für vorgesehene Zwecke aufbereitet werden:
- Werkstoffliches Recycling, welches entweder durch Lösemittel-basiertes oder mechanisches Recycling erfolgt. Es ändert sich der Aggregatzustand (fest/flüssig) aber nicht die chemische Grundstruktur (polymere Zusammensetzung).
- Chemisches Recycling, welches entweder durch Depolymerisation für sortenreine Kunststoffe oder Thermolyse bei Mischabfällen erfolgt. Die Materialien werden in chemische Grundbausteine zerlegt12).
7.2.1 Besondere regulatorische Anforderungen
Die regulatorischen Anforderungen an das Erzeugnis, den Stoff oder das Material sind gleich, egal ob neu oder recycelt.
So gelten folgende Anforderungen für das Recyclingverfahren gemäß KrWG § 5(1):
„a) Der Stoff oder der Gegenstand soll für bestimmte Zwecke verwendet werden;
b) es besteht ein Markt für diesen Stoff oder Gegenstand oder eine Nachfrage danach;
c) der Stoff oder Gegenstand erfüllt die technischen Anforderungen für die bestimmten Zwecke und genügt den bestehenden Rechtsvorschriften und Normen für Erzeugnisse und
d) die Verwendung des Stoffs oder Gegenstands führt insgesamt nicht zu schädlichen Umwelt- oder Gesundheitsfolgen.“
Weiter im KrWG §7a(1) heißt es:
„Natürliche oder juristische Personen, die Stoffe und Gegenstände, deren Abfalleigenschaft beendet ist, erstmals verwenden oder erstmals in Verkehr bringen, haben dafür zu sorgen, dass diese Stoffe oder Gegenstände den geltenden Anforderungen des Chemikalien- und Produktrechts genügen“
Und KrWG §7(3):
„Die Verwertung von Abfällen, insbesondere durch ihre Einbindung in Erzeugnisse, hat ordnungsgemäß und schadlos zu erfolgen. […] Sie erfolgt schadlos, wenn […], insbesondere keine Schadstoffanreicherung im Wertstoffkreislauf erfolgt.“
Die Anforderungen der MDR und IVDR gelten unverändert.
7.2.2 Besondere Risiken
Anreicherung von Schadstoffen im Material
REACH-gelistete Stoffe können abhängig von den Ursprungsmaterialien im Recycling-Prozess vorkommen und sich vor allem beim mechanischen Recyclingprozess anreichern. Beispiele für solche Stoffe sind dem Ausgangsprodukt zugesetzte Polymer-Additive wie
- Weichmacher (Phthalate),
- Stabilisatoren,
- Farbstoffe und Pigmente oder
- Flammschutzmittel aus den Ursprungsmaterialien.
Qualitätsverlust des Materials
Recycelbare Kunststoffe können nicht endlos mechanisch recycelt werden. Je höher die Qualität des Ausgangsmaterials, desto höher ist die Qualität des Rezyklats. Ein hoher Sortieraufwand ist für das Erzielen einer guten Materialqualität erforderlich. Kürzere Fasern bei Textilien und schnellere Degradation aufgrund der Beanspruchung beeinflussen die Qualität z.B. hinsichtlich mechanischer und thermischer Belastbarkeit.
Schädliche Nebenprodukte im Prozess
Das chemische Recycling birgt Gefahren durch schädliche Nebenprodukte wie z.B. POPs (persistent organic pollutants). POPs sind organische Verbindungen, die sich in der Umwelt ansammeln können, da sie biologisch schwer abbaubar sind und oft toxische Eigenschaften haben. Beim Recyclingprozess können durch hohe Temperaturen z.B. unerwünschte Nebenprodukte wie Dioxine und Furane entstehen. Es muss hier generell die Energie-, Umwelt- und Schadstoffbilanz betrachtet werden.13)
7.2.3 Besondere Maßnahmen
Die Hersteller sollten u.a. prüfen:
- Bleibt die Sicherheit des Produkts trotz der thermischen, mechanischen und ggf. chemischen Belastung durch den Recyclingprozess des Materials gegeben z.B. durch die Freisetzung andere Additive, Schadstoffe oder Degradationsprodukte?
- Kann es bei dem Rezyklat zur Anreicherung von Additiven (Schadstoffen) kommen?
- Bleiben die Anforderungen an die Eigenschaften des Materials (z.B. Elastizität, mechanische Belastung des Rezyklat) erfüllt?
- Sind die Qualität und Reinheit der Materialien reproduzierbar (Stichpunkt: Sortenreinheit)?
- Ändert sich die Lebenserwartung des fertigen Produkts z.B. durch schnelle Degradation des recycelten Materials?
- Sind auch die Anforderungen an die Endreinigung, Sterilisation oder Aufbereitung (Reinigung, Desinfektion, Sterilisation) aufgrund der Materialeigenschaften immer noch erfüllt?
7.3 Verwendung von biobasierten Materialien
Die Wahl der Materialien hat einen großen Einfluss auf die Nachhaltigkeit eines Medizinprodukts. Man unterscheidet bei Biokunststoffen zwischen Biokunststoffen
- pflanzlichen Ursprungs z.B. Stärke oder Cellulose,
- tierischen Ursprungs z.B. Galantine14) und
- Biokunststoffen, die durch Mikroorganismen z.B. Polymilchsäure aus Maisstärke (PLA), Polyhydroxyalkanoate (PHA) abbaubar sind.
In vielen Fällen sorgen nachhaltigere Materialien wie die Verwendung von biobasierten Materialien sogar für eine bessere Verträglichkeit bei Patientinnen und Patienten, weil beispielsweise weniger schädliche Stoffe bei der Herstellung eingesetzt werden. Zum Beispiel sind Polyhydroxyalkanoate (PHA) im Körper abbaubar und lösen keine allergischen Reaktionen aus. Jedoch ist der tatsächliche Beitrag zum Klima- und Ressourcenschutz für die spezifischen biobasierten Materialien meist noch nicht vollständig untersucht.
7.3.1 Besondere regulatorische Anforderungen
Auch beim Einsatz von biobasierten Materialien in Medizinprodukten gilt, dass die regulatorischen Anforderungen der MDR bzw. IVDR sowie der mitgeltenden anwendbaren Normen unverändert bleiben. Die Anforderungen bleiben demnach gleich, sind jedoch ggf. schwieriger umzusetzen (siehe besondere Risiken 7.3.2).
7.3.2 Besondere Risiken
Biologisch abbaubar
Der Einsatz von Biokunststoffen ist in der Medizintechnik nicht immer möglich. Es gibt besondere Anforderungen beispielsweise zur Stabilität von eingesetzten Materialien bezüglich z.B. mechanischer oder thermischer Belastungen. Zusätzlich könnte die Langlebigkeit bei biologisch abbaubaren Materialien möglicherweise nicht ausreichend für ihre Verwendung sein.
Verunreinigungen
Biobasierte Materialien wie Kautschuk oder Materialien tierischen Ursprungs sind aufgrund ihres hohen Gehaltes an natürlichen Verunreinigungen mit dem Risiko von z.B. Allergien bzw. Krankheitserregern (z.B. Transmissiblen Spongiformen Enzephalopathie – TSE) stark behaftet. Der Gehalt der Verunreinigungen kann schwanken. Außerdem werden biobasierten Kunststoffen teilweise zusätzliche Additive ähnlich wie bei synthetischen Kunststoffen beigesetzt, die sich nachteilig auf die Biokompatibilität des Materials auswirken könnten.
7.3.3 Besondere Maßnahmen
Biokunststoffe müssen unter anderem:
- stabil gegenüber mechanischen und thermischen Belastungen,
- ggf. leicht zu reinigen, zu desinfizieren und zu sterilisieren,
- biokompatibel und
- reproduzierbar zu fertigen sein sowie
- die gleiche Lebensdauer wie herkömmliche Kunststoffe haben.