Nachhaltigkeit in Medizinprodukten und die Herausforderungen beim Materialwechsel
8. Wie sollte bei einem Design-/Material-Change vorgegangen werden?
8.1 Zusammenfassung dieses Kapitels
Änderungen am Produkt, insbesondere Materialänderungen, müssen einem festgelegten Prozess folgen. Dieses Kapitel beschreibt typische Aktivitäten, die solch ein Prozess umfassen sollte.
8.2 Allgemeines Vorgehen in 6 Schritten
8.2.1 Schritt 1: Änderungsplan erstellen
Der Änderungsplan legt typischerweise fest,
- worin die Änderung bestehen soll und was deren Ziele sind,
- welche Rollen zu beteiligen sind (falls das der Prozess nicht bereits bestimmt),
- welche konkreten Personen die jeweiligen Rollen einnehmen,
- welche Aktivitäten durchgeführt werden (falls der Prozess das nicht bereits bestimmt),
- zu welchen Zeitpunkten diese Aktivitäten stattfinden,
- welche Methoden dazu genutzt werden (falls der Prozess das nicht spezifiziert) und
- ob es Abweichungen zur Prozessvorgabe gibt (und weshalb).
Dabei kann der Plan auf weitere Pläne verweisen wie einen Verifikations- und Validationsplan oder einen speziellen Risikomanagementplan für diese Änderung. Es ist üblich, dass dieser Plan angepasst wird.
Bitte beachten!
Bei dieser Planung ist die Einbeziehung zumindest aller internen „Stakeholder“ wie die Entwicklung, das Produkt-, Qualitäts- und Risikomanagement, Clinical und Regulatory Affairs, die Produktion sowie den Service und Kundensupport wichtig.
Externe Stakeholder sind Behörden, Benannte Stellen, Kundinnen und Kunden, anwendende Personen, Lieferanten, Dienstleisterinnen und Dienstleister z.B. für Entwicklung, Produktion und Logistik, die ggf. auch mit einbezogen werden sollten/müssen.
Dieser Plan muss geprüft und freigegeben werden.
8.2.2 Schritt 2: Risiken analysieren und Maßnahmen festlegen
Die Risikoanalyse sollte zuerst analysieren, welche Prozesse (z.B. die im Kapitel 6 genannten) von der Änderung betroffen sind.
Dann besteht die Aufgabe darin, neue und geänderte Risiken zu identifizieren und zu bewerten. Daraus ergeben sich die nötigen Maßnahmen, die vorgenommen werden müssen.
Bitte beachten!
Die ISO 13485 erlaubt einen „risk-based approach“. Das bedeutet, dass die Risiken auch den Aufwand beeinflussen, mit dem Prozesse validiert werden müssen.
Beispiele
Hersteller sollten die Risiken betrachten, die sich dadurch ergeben, dass die Materialänderungen die
- Biokompatibilität,
- sonstige Sicherheit und Leistungsfähigkeit des Produkts,
- Wirksamkeit des Produkts,
- Produktion, Fertigung, Endprüfung,
- Sterilisation, Aufbereitung,
- Lebensdauer,
- Nutzung und/oder
- Entsorgung beeinflussen.
8.2.3 Schritt 3: Regulatorische Auswirkungen bewerten
Nachdem die Risiken und notwendigen Maßnahmen besser eingeschätzt wurden, sollten die regulatorischen Auswirkungen bewertet werden. Dabei gilt es folgende Fragen zu beantworten:
- Ist die geplante Änderung als wesentlich einzustufen?
- Welche medizinproduktespezifischen Anforderungen müssen beachten werden?
- Welche weiteren regulatorischen Anforderungen sind zu berücksichtigen?
- Welche Dokumente und Aufzeichnungen muss der Hersteller (oder Dritte) aktualisieren oder neu erstellen?
- Was sind die Auswirkungen auf die Kommunikation an Behörden, Benannte Stellen, Kundinnen und Kunden, anwendende Personen, Lieferanten und andere Dritte?
Beispiele für zu überarbeitende und erstellende Dokumente
Dokumente, welche die Hersteller üblicherweise überarbeiten oder neu erstellen, sind:
- Risikomanagementakte insbesondere Risikoanalyse
- Beschreibung des Produkts mit seinen Bauteilen, Materialien und Komponenten
- Labeling
- Prüfungb) der Biokompatibilität
- sonstige Produkt- und Materialprüfungen z.B. Festigkeit, Haltbarkeit
- Vorgabenc) für die Produktion und Prüfung
- Vorgaben für die Reinigung und Sterilisation
- Vorgaben für die Entsorgung
Im Zweifel ist es hilfreich, die Benannte Stelle einzubinden, z.B. um zu klären, ob eine Änderung als wesentlich zu bewerten ist.
Beispiele für regulatorische Vorgaben
Hersteller sollten die Anwendbarkeit beispielsweise der folgenden Vorgaben prüfen:
- Medizinprodukteverordnung: MDR15), IVDR16)
- MDCG-Dokumente speziell: MDCG 2020-317) und MDCG 2022-618)
- Normen insbesondere ISO 10993-Familie, ISO 14971, ISO 13485
- REACH-Verordnung 1907/200619) und Chemikalienverordnung 1272/2008 (CLP)20)
- PFAS-Verbot – Vorschlag ECHA21)
- KrWG – Kreislaufwirtschaftsgesetz22)
- LkSG – Lieferketten-Sorgfaltspflichtgesetz23)
- Bund-/Länderarbeitsgemeinschaft Abfall (LAGA)24)
- EU-Richtlinien zur Reduzierung von Verpackungsmüll (EU-Richtlinie 94/62/EG25) in Verbindung mit der Richtlinie 2018/85226)) und der Abfall-Richtlinie 2008/98 /EG27)
8.2.4 Schritt 4: Geplante Aktivitäten durchführen
Jetzt setzt der Hersteller den Plan weiter um:
- Produktdesign und zugehörige Dokumentation anpassen,
- Produkt verifizieren und validieren und dies dokumentieren,
- ggf. Prozesse validieren und dies dokumentieren und
- Maßnahmen im Risikomanagement dokumentieren.
Bitte beachten!
Zur Anpassung des Produkts zählt regelmäßig auch eine Anpassung der Begleitmaterialien, insbesondere der Gebrauchsanweisung.
Änderungen der Begleitmaterialien müssen ggf. den Usability Engineering Prozess (erneut) durchlaufen.
8.2.5 Schritt 5: Änderung freigeben
Wenn die Tätigkeiten durchgeführt wurden, sollte
- die technische Dokumentation dem geänderten Produkt entsprechen,
- nachgewiesen sein, dass der Nutzen die Restrisiken überwiegt,
- die Validierungen geänderter Prozesse erfolgreich abgeschlossen sein,
- die Konformität erneut festgestellt sein und
- feststehen, wer über die Änderungen in welcher Form informiert wird.
Damit sind die Voraussetzungen erfüllt, dass der Hersteller die Änderungen und (vorbehaltlich einer möglichen Zustimmung durch die Benannte Stelle) das Produkt freigibt.
8.2.6 Schritt 6: Über Änderung informieren
Damit sind alle Voraussetzungen erfüllt, dass alle notwendigen Personen und Organisationen informiert werden.
Beispiele für zu informierende Parteien
- Benannte Stelle
- Lieferanten
- anwendende Personen, Kundinnen und Kunden
- Händlerinnen und Händler
- Dienstleisterinnen und Dienstleister z.B. für Produktion
- Behörde (im Vigilanzfall)