Nachhaltigkeit in Medizinprodukten und die Herausforderungen beim Materialwechsel
6. Welche Prozesse sind betroffen?
6.1 Zusammenfassung dieses Kapitels
Eine Materialänderung betrifft sehr viele Prozesse nicht nur bei Medizinprodukte-, sondern auch IVD-Hersteller. Ein Überblick, welche Prozesse betroffen sein können, bietet nachfolgende Tabelle.
Prozess | Beispiele für mögliche Auswirkungen |
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Technische Dokumentation erstellen, prüfen und auf dem aktuellen Stand halten | - Änderungen in der technischen Dokumentation (TD) beschreiben
- V&V-Aktivitäten wiederholen
- Datenblätter von neuen Materialien ergänzen
- Labeling anpassen (neue Warn- und Entsorgungshinweise)
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Risikomanagement | - Risiken erneut identifizieren und bewerten, welche durch die neuen Materialien über den kompletten Produktlebenszyklus entstehen
- neue Maßnahmen festlegen und bewerten
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Klinische Bewertung | - Andere Äquivalenzprodukte betrachten, z.B. weil Freisetzungsprodukte (Leachables) nicht mehr vergleichbar sind
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Bewertung der Biokompatibilität | - Auswirkungen auf die Biokompatibilität der neuen Materialien analysieren (betrifft Materialien mit Kontakt zu Patientinnen und Patienten ebenso wie die Primärverpackung oder Materialien in der Herstellung)
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Aufbereitungsvalidierung bei wiederverwendbaren Produkten | - Validierung wiederholen (Einfluss auf die Effektivität einer Aufbereitung möglich)
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Sterilisation (bei sterilen Produkten) | - Validierung wiederholen (Einfluss auf die Effektivität der Sterilisation möglich)
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Endreinigung | - Validierung wiederholen (Einfluss auf Effektivität der Reinigung möglich)
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Fertigung und Produktion | - Produktionsschritte anpassen
- Prüfverfahren anpassen
- Endreinigung und Sterilisation ändern (s.o.).
- Biokompatibilität am finalen Produkt bewerten (s.o.)
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Lieferantenlenkung | - neue Materialien von anderen Lieferanten bedingen eine Lieferantenqualifizierung
- Qualitätssicherheitsvereinbarung (QSV) anpassen (z.B. bezüglich Qualitätssicherung, Meldepflichten)
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Zulassung | - Überprüfen, ob das Produkt noch im Scope der Benannten Stelle ist
- Benannte Stelle informieren
- Genehmigung einholen
- Audit durchführen lassen
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Verpackung und Transport | siehe Kapitel 6.2 |
Post-Market Surveillance | siehe Kapitel 6.3 |
Entsorgung | siehe Kapitel 6.4 |
Beispiele
Materialänderungen können sich beispielsweise auswirken auf die Belastbarkeit, Flexibilität, Reißfestigkeit, mechanische oder thermische Beständigkeit und allgemein auf die Haltbarkeit bzw. Lebensdauer und vieles mehr.
Diese Auswirkungen müssen im Risikomanagement bewertet werden.
Dass es keine negativen Auswirkungen gibt, müssen die Hersteller ggf. durch eine (erneute) Verifizierung und Validierung nachweisen.
6.2 Verpackung und Transport
Materialänderungen können den Transport in mehrfacher Hinsicht betreffen:
Zum einen können geänderte Materialien empfindlicher sein. Das könnte eine erneute Transportvalidierung nach sich ziehen.
Zum anderen kann die Materialänderung „nur“ die Verpackung betreffen. Aber auch dafür müssen die Hersteller die Auswirkungen analysieren, bewerten und ggf. eine erneute Transportvalidierung durchführen oder die Vorgaben dazu ändern.
Beispiele
Änderung des Polstermaterials zur Verpackung von Hüftschäften von Luftpolsterfolie auf gefalteten Karton: Diese Änderung hat eine neue Transportvalidierung, Lieferantenfreigabe, Risikoanalyse sowie erhöhten Dokumentationsaufwand an verschiedenen Stellen zur Folge.
Würde die Sterilverpackung von Einwegprodukten geändert werden, hat diese unter anderen einen Einfluss auf die Sterilisationsvalidierung, Biokompatibilitätsbewertung, Transportvalidierung, Shelf-Life-Bewertung, ggf. das Labeling, Risikomanagement und die Dokumentation.
6.3 Post-Market Surveillance
Es muss geprüft werden, ob die Materialänderung sich auf die Post-Market Surveillance (PMS) auswirkt und ob auch hier Handlungsbedarf besteht. Beispielsweise müssen die Hersteller:innen neue Informationsquellen einbeziehen, wie
- die Nennung neuer Lieferanten,
- die technische und klinische Literatur zu den neuen Materialien,
- andere Vergleichsprodukte und
- Kundinnen und Kunden/Patientinnen und Patienten (durch Beobachtungen, Befragungen).
Zudem kann es sinnvoll sein, die Frequenz zu erhöhen, in der die Hersteller (während der Umstellungsphase) die Informationen sammeln und bewerten. Damit verbunden wäre auch eine engmaschigere Trendanalyse oder/und neue Schwellwerte bei dieser Analyse (s. MDR/IVDR Anhang III).
Sind Dritte an der Informationsbeschaffung beteiligt wie Lieferanten, Händlerinnen und Händler sowie anwendende Personen, sollten die Hersteller diese darüber informieren bzw. dazu verpflichten (z.B. durch eine QSV).
6.4 Entsorgung
Materialänderungen betreffen regelmäßig auch die Entsorgung11).
Das beginnt beim „Design“ des Produkts, das unter Umständen geändert werden muss, um die Materialien leichter separieren zu können.
Beispiele
In manchen medizinischen Geräten sind elektronische Komponenten enthalten, die eine spezielle Entsorgung erfordern. Die Verwendung eines modularen Designs zur leichteren Entfernung der elektrischen Komponente führt zur Verbesserung der Nachhaltigkeit.
Außerdem bestehen Medizinprodukte oft aus sogenannten Verbundwerkstoffen wie z.B. mit Glasfaser verstärkte Kunststoffe, welche oft in der Orthopädie eingesetzt werden. Das Recyceln solcher Materialien ist aufgrund der notwendigen Trennung und angestrebten Sortenreinheit erschwert. Eine mögliche Umstellung auf recycelbare Metalle oder biologisch abbaubare Kunststoffe wären Alternativen, aber die Funktionalität, Sicherheit und Wirksamkeit des Medizinprodukts muss weiterhin gewährleistet sein.
Sogar Auswirkungen auf das Geschäftsmodell der Hersteller sind denkbar. So könnten Hersteller die Rücknahme der Produkte anbieten und sich so von den Wettbewerbern differenzieren. Zurückgenommene Produkte ließen sich intern aufbereiten und als „refurbished products“ in anderen Märkten erneut verkaufen. Gesammelte und recycelte Materialien könnten Hersteller zur weiteren Verwertung weiterverkaufen.
All dies hat potenziell Auswirkungen auf viele Prozesse:
- Zerlegung von Produkten;
- Aufbereitung von Produkten;
- Reinigung von Materialien;
- Rückverfolgbarkeit;
- Entsorgung von Ausschuss;
- Vertrieb von Materialien, Rohstoffen und wiederaufbereiteten Produkten.